Marcus Scholz

21. Juli 2020

Die Torhüter, die Abwehr und das Mittelfeld hatten wir schon. Folglich fehlen noch der Angriff, die Trainer und die Sportliche Leitung. Und Letztgenannte ist gerade schwer damit beschäftigt, auch die Lücken im Angriff zu stopfen. Seit Winter hatte hier Joel Pohjanpalo einen Großteil der Fehlplanung wettmachen können. Neun Tore in 14 Einsätzen, wovon der Angreifer, der in der Winterpause auf Leihbasis aus Leverkusen kann, zehnmal in der  Startelf stand – das ist eine richtig gute Bilanz. Da der Finne aber bekanntermaßen nicht mehr hier sondern wieder in Leverkusen ist, muss der HSV umplanen. Denn die im Kader befindlichen Angreifer reichen für die Ziele des HSV nicht aus. Behaupte ich. Aus Gründen.

Vor der abgelaufenen Saison hatte sich der HSV mit Lukas Hinterseer verpflichtet, der bis dato eine starke Torquote in der Zweiten Liga hatte. In seiner Bewerbung standen 18 Treffer aus der Saison 2018/2019 für den VfL Bochum. Hinterseer sollte in etwa die Torgarantie mitbringen, die sich einige aktuell von einem Transfer Simon Teroddes vom 1. FC Köln zum HSV versprechen. Und wenn man ehrlich ist, ist die Quote von Hinterseer noch nicht einmal so schlecht. Neun eigene Treffer, drei Assists bei 19 Startelfnominierungen und zehn Einwechselungen. Hätte besser sein können – aber bei allen Beurteilungen muss man auch den Verlauf mit einbeziehen. Und der hatte recht früh schon eine Degradierung für Hinterseer parat. Bis zum 21. Spieltag war der Österreicher Stammspieler und schaffte in diesen Spielen auch alle seine Treffer und Assists. Er passte sich damit dem gestern im Blog lange beschriebenen Saisonverlauf mit Einbruch ab dem 21. Spieltag an.

Hinterseer in der Rückrunde nur Ersatz

Wobei es hier eher heißen müsste: Er wurde angepasst. Denn fortan war Pohjanpalo gesetzt und Hinterseer nur noch Ersatz. Nur noch 214 Minuten kamen in den letzten 13 Spielen zustande – das ist alles andere als die Quote eines Stammspielers. „Ich kann mich im Training immer wieder anbieten – und das mache ich“, sagte uns Hinterseer, der aktuell vom HSV ins Schaufenster gestellt wird. Er darf den HSV bei einem passenden Angebot verlassen, heißt es. Und damit hat man eine künftige Zusammenarbeit auf der Basis, auf der man ihn einst aus Bochum holte, schon zerschossen. Denn dort galt er als unangefochten gesetzt – was ihn stark machte.

Hendrik Weydandt wäre meiner Meinung nach eine gute Lösung gewesen, wenn man sich von Hinterseer trennt. Er wäre ablösefrei und noch lange nicht am Zenit seines Könnens angekommen. Aber der 26-Jährige, der übrigens eine nahezu identische Torquote wie Hinterseer hat, hat seinen Vertrag bekanntlich bei den Niedersachsen verlängert.

Was mir bei alledem allerdings nicht ganz in den Sinn kommen mag, ist die Tatsache, dass sich der HSV bei Berater Volker Struth nach dessen Mandanten Terodde erkundigt hat. Der noch beim 1. FC Köln unter Vertrag stehende Mittelstürmer ist von der Beschreibung her ein ähnlicher Typ wie Hinterseer. Er ist groß, kopfballstark, ein kräftiger Strafraumstürmer und er verfügt(e) über den notwendigen Killerinstinkt. Es wäre quasi ein Austausch von einem Sicherheitskauf zum nächsten. Inspiration ist etwas anderes.

Der HSV muss für den Angriff sehr findig sein

Und die wird nötig sein. Angesichts noch immer ungelöster Finanzprobleme (Hauptsponsor fehlt, Stadionname ist unverkauft, Zuschauereinnahmen sind ganz werden wenigsten teilweise weiterhin wegfalle etc.)  hatte es sich für mich so angehört, als würde man mit Daniel Thioune jetzt einen Weg gehen, der weggeht von teuren Sicherheitskäufen wie Terodde und hin zu talentierten Angreifern, die sich beim HSV zu richtig guten Stürmern steigern. Womit ich übrigens nichts dagegen sagen möchte, wenn man Terodde zu vernünftigen Konditionen verpflichten könnte. Aber angesichts knapp zwei Millionen Euro Gehalt und einem geforderten Dreijahresvertrag scheint mir das fast ausgeschlossen. Vor allem: Zwei Millionen verdient nur ein Bobby Wood…

Womit wir einen ganz wichtigen Teil des Problems für die sportlich Verantwortlichen ansprechen. Denn die Altlast Wood schränkt bei der Kaderplanung und vor allem der Suche nach Neuzugängen massiv ein. Allein der US-Amerikaner bindet mit 2,1 Millionen Euro kolportierten Jahresgehaltes schon mal knapp 11 Prozent des Gesamtetats – ohne Prämien. Unfassbar teuer, aber eben erneut Teil des Problems, sofern Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel keinen Verein für Wood finden. Denn Wood selbst scheint sich darauf festgelegt zu haben, sich beim HSV noch mal durchzubeißen. Zum x-ten Mal. Und falls es wieder nicht klappt unter dem nächsten neuen Trainer, fällt er finanziell zumindest weich. Wer will es ihm verdenken bei diesem Mondvertrag, der noch aus der Dietmar-Beiersdorfer-Ära stammt...?

Ebenfalls einen neuen Versuch wagen will Manuel Wintzheimer beim HSV. Der war zuletzt ein Jahr an den VfL Bochum ausgeliehen und sagte heute den Kollegen, dass er sich dort weiterentwickelt habe. Beim HSV scheint man Wintzheimer eine neue Chance geben zu wollen. Als Stürmer Nummer eins dürfte aber auch Wintzheimer noch nicht eingeplant werden. Ebenso wenig wie Martin Harnik, dessen Vertrag beim HSV ausgelaufen und durch den Nichtaufstieg auch nicht verlängert wurde. Die Frage, ob Harnik dem HSV noch eine Saison hätte helfen können, haben die Verantwortlichen mit „nein“ beantwortet.

Die Strategie „Erfahrung“ hat nicht funktioniert

Angesichts der Saisonbilanz nachvollziehbar. 17-mal stand der Österreicher in der Startelf. Bei seinen insgesamt 23 Einsätzen schaffte der Mann mit der eingebauten Torquote, wie ihn Extrainer Dieter Hecking zu Saisonbeginn umschrieben hatte, nur drei Tore und zwei Assists. Er fühle sich, als sei er gescheitert, fasste Harnik die abgelaufene Saison selbst zusammen. Und auch heute hat er noch an dem Erlebnis zu knabbern. Äußern wollte er sich jedenfalls ebenso wenig wie Hinterseer.

Fakt ist: Beide haben längst nicht das zeigen können, was man sich von ihnen versprochen hatte. Und während die Trennung von Harnik beschlossen und abgehakt ist, zieht sich selbige bei Hinterseer noch. Eine Situation, die man meiner Meinung nach hätte vermeiden müssen. Denn so bleibt nur das Warten darauf, dass Hinterseer geht. Das steigert weder den Preis, noch lässt es den HSV aktuell planen. Wood hinzugerechnet, einen Wintzheimer, bei dem man noch nicht weiß, wie gut er ist – das lässt für vorn noch sehr viele Fragezeichen offen. Zu viele.

HSV wird bei Talenten in die Verantwortung gezwungen

Es sind Fragezeichen, deren Lösung man von den Außenstürmern Aaron Opoku, Bakery Jatta und Xavier Amaechi nicht erwarten darf. Man darf hier hoffen, dass sie einschlagen – aber gerade Amaechi hat gezeigt, wie schnell es einen wirklich sehr veranlagten Offensivspieler bis auf die Tribüne verschlagen kann. Nach den gezeigten Leistungen sogar völlig zurecht. Dennoch hoffe ich, dass der neue Trainer dem jungen Engländer auch neuen Mut schenkt. Denn ich bleibe dabei: Fußballerisch hat Amaechi alle Zutaten, die es braucht. Allein der Kopf macht noch nicht richtig mit. Aber bei einem 18-Jährigen ist das auch die Aufgabe des Trainers bzw. der sportlichen Führung des HSV.

Ebenso das Finden des neuen ersten Angreifers. Denn den braucht der HSV. Letzte Saison hatte man die Idee, mit Hinterseer als zentrale Spitze und Harnik als Außenstürmer bzw. potenziellen Mittelstürmerersatz. Wood war nie ernsthaft eingeplant – und das ist er auch jetzt nicht. Bleibt nur zu hoffen, dass die Beteiligten dieses Jahr wieder eine klare Idee haben – wovon ich ausgehe – und nach dieser Idee ihre Einkäufe/Verpflichtungen ausrichten. Gern auch mit jungen, willigen, talentierten Spielern, denen man nicht nur vorher deutlich macht, dass sie beim HSV das Vertrauen und die Zeit bekommen, die sie benötigen. Vielmehr darf dieses Vertrauen nicht vom Heißhunger auf den schnellen, sofortigen Erfolg gefressen werden.

Aber zu den Trainern und den Verantwortlichen gibts am Donnerstag mehr. Warum erst dann? Ganz einfach: Weil wir morgen an dieser Stelle einen Gastbeitrag haben, den ich sehr interessant finde. Von wem er ist, das erfahrt Ihr allerdings morgen. Da melde ich mich natürlich auch wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch!

Bis dahin,

Scholle

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