Tobias Escher

30. Oktober 2019

Es war eine mittelschwere Überraschung, als vor dem DFB-Pokal-Spiel zwischen dem Hamburger SV und dem VfB Stuttgart die Aufstellungen eintrudelten. Dass VfB-Trainer Tim Walter vier neuen Spielern das Vertrauen schenkte, damit war nach dem 2:6-Debakel am Wochenende zu rechnen. Doch dass auch Dieter Hecking auf vier Positionen rotierte, verwunderte, schließlich hatte seine Mannschaft am Wochenende überzeugt. Die große Rotation wirkte sich auf die Partie aus: Angesichts insgesamt acht neuer Spieler auf dem Feld lief die Pokal-Partie gänzlich anders als die Liga-Partie am Wochenende.

Am Samstag hatte Dieter Hecking ein 4-5-1-System präsentiert, das perfekt auf den Gegner zugeschnitten war. Im DFB-Pokal kehrte Hecking zu seinem eigentlich favorisierten 4-2-3-1-System zurück. Aaron Hunt bildete mit Stürmer Lukas Hinterseer die vordere Pressinglinie, auch die beiden Viererketten rückten weiter nach vorne.

Der HSV hoffte, dass die Stuttgarter nach der derben Niederlage mit Respekt in die Partie gingen. Das taten sie – aber nicht so, wie der HSV sich dies vorstellte. Anstatt durch Nervosität fielen sie durch eine veränderte Spielanlage auf. Walter bewies, dass er kein Fußball-Ideologe ist, der sein geliebtes offensives System über alles stellt. Die für seinen Fußball typischen Aufrückbewegungen der Innenverteidiger gab es im Pokal selten zu bewundern. Stattdessen war der Spielaufbau fast schon konservativ angelegt: Die Viererkette ließ den Ball in der Abwehr laufen, um dann mit langen Flügelwechseln das Spiel zu verlagern.

Diese Spielidee hatte schon in der zweiten Halbzeit am Wochenende recht gut funktioniert und sollte auch dieses Mal aufgehen. Entscheidend war die Rückkehr von Holger Badstuber: Er spielte aus der Abwehr die präzisen langen Bälle, die Stuttgarts aufrückende Mittelfeldspieler hinter die Abwehr schickten. Nach nicht einmal zwei Minuten führte einer seiner langen Bälle zum Elfmeter-Pfiff.

Licht und Schatten auf den Flügeln

Nach dem frühen Treffer der Stuttgarter entwickelte die Partie eine ganz andere Dynamik. Plötzlich waren es nicht mehr die Stuttgarter, die Ball und Gegner laufen lassen mussten. Sie zogen sich jetzt etwas zurück, überließen dem HSV das Spielgeschehen. Sie standen defensiv wesentlich stabiler als noch am Wochenende. Das lag vor allem an der passiveren Spielweise ihrer Abwehr: Die Viererkette sicherte mitsamt Sechser Atakan Karazor permanent ab.

Die Hamburger versuchten, mit den für sie in dieser Saison typischen Methoden die Stuttgarter Defensive zu knacken. Verbindungsspieler David Kinsombi rückte immer wieder auf die Flügel, um hier Überzahlen zu schaffen. Auf der rechten Seite funktionierte dies gut. Bakary Jatta zog mit dem Ball am Fuß Richtung Tor, Kinsombi zog mit Sprints Gegenspieler auf sich und Rechtsverteidiger Josha Vagnoman hinter- oder vorderlief auf dem Flügel.

Hamburgs linke Seite trat hingegen nur ein einziges Mal in Erscheinung: Vor dem Elfmeter zum Ausgleichstreffer (16.) eroberte der HSV hier den Ball. Ansonsten lief das Spiel der Hamburger ausschließlich über die rechte Seite. Es fiel auf, wie wenig Linksaußen Jairo Samperio in die Aufbau-Strukturen eingebunden war. Häufig stand er im ballfernen Raum. Nur selten wurde er ins Spiel integriert, was dafür sorgte, dass Hamburgs Spiel äußerst rechtslastig war.

Diese Ausrechenbarkeit war das erste große Problem des Hamburger Spiels. Das zweite war der fehlende Zugriff im Pressing. Stuttgart lockte die Hamburger geschickt in Pressing-Situationen. Im Anschluss spielten sie den Ball aber nicht ins Mittelfeld, sondern direkt an die letzte Linie. Das führte nur selten zu Raumgewinn, der HSV stand in der Abwehr relativ kompakt und eroberte zweite Bälle. Zugleich gelangen dem HSV damit nur wenige Ballgewinne in gefährlichen Bereichen. Nach den beiden frühen Treffern entstand somit eine zerfahrene Partie, beide Teams fielen eher durch Fouls als durch Kombinationsfußball auf.

Taktische Aufstellung HSV-VFB

 

VfB zieht dem HSV den Zahn

VfB-Trainer Walter zog die richtigen Schlüsse. Seine Mannschaft trat nach der Pause aggressiver im Pressing auf. Stuttgart störte die Hamburger in einem 4-3-3-System. Der Clou: Die drei Stürmer orientierten sich stark auf Hamburgs rechte Seite. Das hatte zwei Effekte: Zum Einen konnten sie hohen Druck ausüben auf Vagnoman. Sie hatten den jungen Rechtsverteidiger als Schwachstelle in der Ballzirkulation ausgemacht.

Der zweite Effekt: Die Stuttgarter lenkten das Aufbauspiel ein Stück weit auf die andere Seite. Irgendwann hörte der HSV auf, über Vagnoman das Spiel zu eröffnen, und spielte den Ball auf die linke Seite. Hier fehlte aber jegliche Idee, wie man Raumgewinn erzielen wollte. Hunt und Samperio blieben als Anspielstation vor dem Ball blass, Flügelwechsel auf Jatta verteidigte Stuttgarts Linksverteidiger Gonzalo Castro routiniert. Mit einem einfachen taktischen Mittel zog Stuttgart dem HSV den Zahn.

Der VfB wiederum variierte sein Offensivspiel nun besser. Phillipp Förster und Philipp Klement bewegten sich nicht mehr permanent an die letzte Linie, sondern boten sich auch mal im zentralen Mittelfeld an. Gerade wenn der HSV vorne nicht ins Pressing ging, fand Stuttgart die Lücken zwischen Hamburgs Ketten. Das Duo Kinsombi-Fein verteidigte weit weniger sauber als das Trio Fein-Dudziak-Moritz am Wochenende.

Hecking versuchte, von der Bank Impulse zu setzen. Mit der Einwechslung von Khaled Narey (68., für Samperio) wechselte Jatta auf die linke Seite. Das belebte das Spiel über diesen Flügel etwas, zudem gewann Narey mehr Spielverlagerungen gegen Castro als Jatta. Zugleich brachte Jeremy Dudziak (68., für Hunt) auf der Zehner-Position nicht dieselbe Galligkeit ins Spiel, die ihn auf der Achter-Position so auszeichnet.

Somit agierte der VfB auch nach den Wechseln feldüberlegen. Mit der Einwechslung von Silas Wamangituka (58., für Förster) verteidigten die Stuttgarter nun öfter in einer Raute, Wamangituka bildete mit Gonzalez einen Doppelsturm. Stuttgart erhielt weiter Zugriff, während die Hamburger hinterherliefen. Dieses Bild setzte sich in der Verlängerung fort: Der HSV stand tiefer und tiefer, der VfB drückte mehr und mehr, ohne dabei die Konterabsicherung zu vernachlässigen. Der Siegtreffer des eingewechselten Hamadi Al Ghaddioui war folgerichtig.

 

Fazit

Es war ein ganz anderes Spiel als noch am Wochenende. Der HSV wirkte im Pokalspiel taktisch weniger gut eingestellt. Ich würde hier zwei Faktoren nennen: Zum Einen hat VfB-Coach Walter die richtigen Schlüsse aus der Niederlage gezogen. Seine etwas defensivere, aber keineswegs biedere Spielweise funktionierte. Gerade nach der Pause brachten sie ihre gewohnte Dominanz im Pressing und im Kombinationsspiel auf den Rasen.

Der zweite Faktor: Die Elf, die Hecking auf den Rasen schickte, harmonierte weit weniger als noch am Wochenende. Vor allem das Fehlen von Sonny Kittel und Dudziak machte sich bemerkbar. Kittel hätte helfen können, der Rechtslastigkeit der Angriffe entgegenzuwirken, während Dudziaks Ersatzmann Kinsombi derzeit schlicht die Form fehlt, um die weiträumige Rolle im Mittelfeld zu übernehmen. Es würde mich nicht überraschen, wenn beide am Wochenende gegen Wehen-Wiesbaden wieder in der Startelf stehen.

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