Dennis Draber

13. Februar 2020

Ein Gastbeitrag von Dennis Draber, 96freunde.de

Nach einer bizarren Winterpause keimt ein Funke Hoffnung in Hannover

Ehrlich gesagt, wir 96-Fans blicken zurzeit ziemlich neidisch nach Hamburg. Die Rollen des „kleinen HSV“ und des „großen HSV“ sind so klar verteilt wie seit zehn Jahren nicht mehr. Im vergangenen Jahrzehnt mussten wir Hannoveraner durchaus mal milde schmunzeln, wenn uns die neueste Doku-Soap-verdächtige Meldung aus Hamburg erreichte. Egal ob es das Rucksack-Gate oder die Relegation 2014 unter Mirko Slomka war, in der der HSV den Klassenerhalt schaffte, ohne eins der beiden Relegationsspiele gewonnen zu haben: Nicht selten hatten wir 96-Fans das Gefühl, dass der Drehbuch-Autor von „Berlin – Tag & Nacht“ in seiner Freizeit auch die Skripte für den Hamburger SV schrieb.

Seit einigen Monaten sind diese Zeiten vorbei – dabei lässt es sich im Rückblick trefflich streiten, wann genau dieser Zeitpunkt eingetreten ist. Aus hannoverscher Sicht begann der sportliche Niedergang ausgerechnet damit, dass Horst Heldt sich entschloss, den hannoverschen Kader mit einer Fülle an (ehemaligen) HSV-Hoffnungsträgern aufzufüllen. Bobby Wood und Walace kamen als vielgepriesene Leistungsträger, Nicolai Müller und Thomas Doll folgten wenige Monate später als vermeintliche „Retter in der Not“, Matthias Ostrzolek war längst schon da. Nach dem Abstieg im Sommer 2019 verpflichtete Hannover 96 Mirko Slomka als Cheftrainer. Paradoxer ging es kaum: Ausgerechnet dem Trainer, der bei seinem Abgang 2013 in Hannover so viel verbrannte Erde hinterlassen hatte, wurde der Neustart anvertraut – diese Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Statt mit dem HSV um den Bundesligaaufstieg mitzuspielen (was das erklärte Ziel der Vereinsverantwortlichen um Martin Kind war), fand sich Hannover 96 plötzlich mitten im Abstiegskampf der zweiten Liga wieder.

Neidische Blicke gen HSV

Zu Recht lässt sich einwenden, dass der wahre Grund für unseren derzeit neidischen Blick nach Hamburg viel tiefer liegt, fernab der sportlichen Tabellensituation: Es sind die professionellen Strukturen in der sportlichen Führung, die der HSV (zumindest aus unserer Sicht) zurzeit hat und die uns in Hannover komplett fehlen. Dabei gab es Anfang der Saison durchaus (wenn auch halbherzige) Versuche, solche Strukturen in Hannover aufzubauen. Gespräche mit Markus Krösche und Jonas Boldt wurden hinter den Kulissen geführt, bekanntlich entschieden sich beide Manager für einen anderen Klub. Mit dem Europa League-Helden Jan Schlaudraff wurde daraufhin ein Assistent zum Sportdirektor befördert, während die Position des Sportvorstands vakant blieb. Dabei macht die Konstellation Sportvorstand plus Sportdirektor natürlich Sinn, denn es gibt mehr als genug Arbeit für zwei Verantwortliche. Kaderplanung, strategische Entwicklung, Trainerfragen, Transfergespräche – das alles kann kein Mann auf Dauer alleine übernehmen. Auch Jan Schlaudraff nicht. Ausgerechnet der Hamburger SV machte uns Hannoveranern mit dem Duo aus Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel vor, wie sportliche Weichenstellungen im Management gemeinsam erfolgreich getroffen werden können.

Die negativen Schlagzeilen rund um Hannover 96 rissen auch im Winter nicht ab. Nach nur acht Monaten hatte sich das Kapitel Jan Schlaudraff erledigt, der 36-Jährige wurde mit sofortiger Wirkung vor die Tür gesetzt. Die Entlassung mutete bizarr an. Noch am 30.12.2019 hatte 96-Boss Martin Kind sämtliche Gerüchte bezüglich einer vorzeitigen Trennung von Schlaudraff mit deutlichen Worten dementiert, er gab ihm sogar eine Jobgarantie: „Jan ist unser Sportdirektor. […] Das bleibt auch so in der Rückrunde.“ Nur 17 Tage später war diese Jobgarantie Schnee von gestern. Ausgerechnet der kaltgestellte Gerhard Zuber, der als Vertrauter des geschassten Horst Heldt keinerlei Vertrauen mehr seitens der hannoverschen Geschäftsführung besaß und der gegen Hannover 96 vor Gericht prozessierte, übernahm Schlaudraffs Job. In der hannoverschen Pressemitteilung hieß es dazu unwiderstehlich: „Unabhängig von arbeitsgerichtlich zu klärenden Rechtsfragen genießt Gerhard Zuber das volle Vertrauen der Geschäftsführung.“

Hannover 96 - die graue Maus?

Es gibt tatsächlich Tage, da wünscht man sich als 96-Fan nichts sehnlicher, als dass Hannover 96 einfach nur das bieder-langweilige Image einer grauen Maus hätte. Oder das des HSV. Am Tag von Schlaudraffs Entlassung war so einer.

Die Situation in Hannover ist seit dem bizarren Bäumchen-wechsel-dich-Spiel mit Schlaudraff und Zuber kaum entspannter geworden. 96 startete mit einer peinlichen Niederlage gegen Regensburg und einem dürftigen Remis gegen Drittligaaufsteiger Wiesbaden in das neue Jahr. Dennoch keimt seit vergangenem Wochenende wieder ein Fünkchen Hoffnung in Hannover, denn die Spieler stellten beim 3:1-Auswärtssieg gegen Greuther Fürth unter Beweis, dass sie trotz der widrigen Situation füreinander einstehen. Hannovers Mittelfeldspieler Linton Maina (jener Maina, der im November für Hannover 96 gegen St. Pauli den Siegtreffer geschossen hatte), verzichtete darauf, in der Nachspielzeit ins leere Fürther Tor einzuschieben – der Fürther Torwart war bei einer Ecke mit nach vorne geeilt. Stattdessen legte Maina selbstlos auf den 18-jährigen Debütanten Simon Stehle ab, der dadurch in seinem ersten Profieinsatz sein erstes Tor markieren konnte. Es war ein Signal von Maina an die hannoverschen Fans, dass die Mannschaft lebt und trotz aller widrigen äußeren Umstände intakt ist. Der Mannschaftsgeist ist darum auch der einzige Strohhalm, an der wir 96-Fans uns klammern, wenn wir an das Spiel am Samstag gegen den Favoriten aus Hamburg denken.

Sportliche Grüße aus Hannover nach Hamburg,

Dennis

P.S.: Ich erlaube mir etwas Werbung im Abspann. Falls ihr mal vorbeischauen wollt: 96Freunde.de gibt es auch als Android-App und als Podcast. Die Podcast-Folge mit Enke-Biograph Ronald Reng über Robert Enke und die Krankheit Depression ist für jeden Fußballfan hörenswert, unabhängig vom Lieblingsverein.

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