Marcus Scholz

2. April 2020

Besondere Zeiten, besondere Maßnahmen. Und so folgte nach der ersten Video-Pressekonferenz der Vereinsgeschichte mit Marcell Jansen am Montag heute die zweite interaktive Videoschalte. Diesmal mit den beiden HSV-Vorständen Frank Wettstein und Jonas Boldt. In sicherem Abstand auf der Empöre des PK-Raumes platziert, saßen Boldt und Wettstein. Sie hatten sich sowohl mit den tagesaktuellen Medien als auch mit Bundesliga-Rechteinhaber Sky darauf verständigt, jeweils rund 20 Minuten Fragen zu beantworten. Zu zweit. Im Team. So, wie sich der HSV in Zukunft präsentieren will. „Die persönliche Ebene stimmt“, so Wettstein auf die Frage, wie sich die Zweierkonstellation im Vorstand darstellt. Auf die bFrage, wie man denn zu einer Entscheidung kommen wolle, wenn man inhaltlich mal nicht einer Meinung sein würde, wich Wettstein ebenso aus wie Jansen bereits am Montag: „Kontroverse Diskussionen gehören dazu, die wird es geben. Aber Ziel für uns im Vorstand war und ist es, einstimmig  zu agieren.“ Und dann sagte Wettstein einen Satz, der angesichts des Rausschmisses Bernd Hoffmanns etwas seltsam anmutet: „Das ist uns in der Vergangenheit schon ganz gut gelungen.

Ist es? Wohl eher nicht. Zumindest hieß und heißt es, dass Hoffmann gehen musste, weil er sich nicht ins das Vorstandsteam integrieren wollte und stattdessen mit unabgesprochenen Einzelgängen und Kompetenzübergriffen das Vertrauen nachhaltig schädigte. „Wir werden zu Interna hier keine Stellung beziehen“, schob Boldt angesprochen auf die Gründe für das Hoffmann-Aus nach. Er sei immer ein Teamplayer gewesen und habe sich nie beschwert, obgleich er bei seiner Entscheidung für den HSV schon gewusst habe, dass er sich eine alles andere als leichte Aufgabe übernehmen würde. Boldt weiter zur neuen Konstellation: „Ich sehe die Veränderungen der Arbeit als nicht so gravierend. Es geht darum, dass wir das vorhandene Teamplay fortsetzen, unseren weiterhin handlungs- und wettbewerbsfähigen Abteilungen und Fachbereichen Vertrauen schenken und richtige Entscheidungen treffen.“

Vorstand sucht Kontakt zu Aufsichtsratsboss Jansen

Dazu wird auch Marcell Jansen zählen, der als Nachfolger des zurückgetretenen Max Arnold Köttgen den Aufsichtsratvorsitz übernommen hat. Und während Wettstein noch einmal betonte, dass man Jansen erst einmal eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestehen sollte, sieht Boldt den HSV klar sortiert: „Wir hatten vor Marcell’s Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden einen guten, vertraulichen Austausch und werden diesen auch weiterhin pflegen.“ Jansen habe im ersten gemeinsamen Gespräch schon klar die Rollenvergabe definiert. Boldt: „Die Räte kontrollieren und beraten uns, stehen wie bisher unterstützend zur Seite, wir als Vorstand verantworten das operative Geschäft und führen es.“ Wie genau die Aufgabenfelder von Hoffmann in Zukunft verteilt werden? Wettstein: „Damit alle Mitarbeiter sich orientieren können, haben wir entschieden, dass Jonas sich um den Bereich Kommunikation und ich mich um den Bereich Vermarktung kümmern werde. Diese Aufteilung ist aber jetzt nicht für alle Ewigkeiten manifestiert. Zudem werden wir uns gerade in diesen Geschäftsbereichen sehr eng abstimmen und ergänzen.“

Zumal gerade der Bereich Vermarktung beim HSV stark ausbaufähig ist. Gerade regional hat der HSV hier zuletzt zunehmend den Zugriff auf die großen Unternehmen verloren - aktuell dürfte die Coronakrise die Gespräche über größere Engagements zusätzlich erschweren. „Gerade jetzt hinterfragen Sponsoren ihre Engagements, und da ist auch entscheidend, wie der HSV wirtschaftlich und sportlich die Krise überstehen will und wird“, weiß Wettstein zu berichten. „Das können Jonas und ich ganz sicher verdeutlichen. Die Situation ist eher vergleichbar mit der Phase vor zwei Jahren, als durch den drohenden Abstieg gleiche Fragen an uns gerichtet wurden. Hier gelang es auch, das Kommitment der Partner zum HSV durch die gezielte Ansprache und Beantwortung genau dieser Fragen bereits vor dem Saisonende für die Zeit nach dem Abstieg einzuholen.“ Dabei soll es den Partnern vor allem gefallen haben, nicht allein mit  Vermarkter Lagardère zu v erhandeln, sondern parallel dazu immer sich mindestens einen Vorstand dabei gehabt zu haben, um persönlich Frage zum internen Abläufen stellen zu können.

Vorstand bleibt bis auf weiteres zu zweit

In den nächsten Wochen so heißt es, wird es keinen weitere Vorstand geben. Bis dahin wird der von Hofmann an Bord geholte Direktor Henning Bindzus zusammen mit Vermarkter Lagardère Sports die Gespräche führen. Auch die Gespräche mit Herrn Kühne? Insbesondere die Namensrechte am Stadion sollen zeitnah zu einem Abschluss gebracht werden. Ob sich der neue Vorstand vorstellen kann, weitere Anteile zu verkaufen? „Wir müssen auch hier die nächsten Entwicklungen abwarten und sehen, in welchem Umfang und wie lange die Krise auf den HSV und sein Eigenkapital wirkt. Ein gewisses Eigenkapitalpolster ist sowohl im Lizenzierungsverfahren wie auch bei Finanzierungsmaßnahmen eine entscheidende Größe. Auf der anderen Seite gilt es die Mitwirkungsprozesse beim HSV e.V. zu respektieren. Letztendlich bleibt es die Entscheidung der Gesellschafter, solche Kapitalmaßnahmen zuzulassen. Von daher würden wir die Gespräche mit den Gesellschaftern, insbesondere natürlich mit dem Präsidium als Vertreter des Hauptgesellschafters, führen, falls konkrete Überlegungen dies erfordern.“

 

Wettstein lässt damit etwaigen Zukunftsszenarien zum einen Interpretationsspielraum - zum anderen betont er noch einmal, dass natürlich bei allen zuletzt immer wieder vorgezeichneten Schreckensszenarien der doppelte Boden durch die Gesellschafter und demnach die Mitglieder gegeben ist. Was immer wieder vergessen wird bei der ganzen Diskussion um Klaus Michael Kühne: Die Mitglieder würden immer entscheidend bleiben. Natürlich muss der Aufsichtsrat auch in Zukunft ein Auge darauf haben, dass sich der HSV nicht noch einmal durch erfolgreich eingeworbene und ebenso erfolglos eingesetzte Darlehens-Millionen in ein Abhängigkeitsverhältnis manövriert wie seinerzeit nach der Ausgliederung unter der Führung von Dietmar Beiersdorfer.

HSV kann die Einflussnahme Kühnes steuern

Dass die Angst vor Klaus Michael Kühnes Einflussnahme in den letzten Wochen noch einmal wiederholt betont worden war, war tatsächlich kein Zufall. „Die aktuelle Diskussion soll möglicherweise von anderen Fragestellungen ablenken“, sagte Wettstein heute und erklärte noch vergleichsweise moderat, was an der einen oder anderen Stelle nur zu deutlich herauszulesen war: Es war der Versuch, noch einmal zu verdeutlichen, dass man Hoffmann dringend brauche, da er der einzige sei, der Kühne die Stirn bieten könne. Dabei scheint zumindest seit längerem schon keine Gefahr mehr von dem 82-Jährigen auszugehen. Ein wichtiges Indiz, das immer wieder von den Kritikern vergessen wird: Kühne hat dem HSV durch seine Rückforderungsverzicht auf Darlehen in Höhe von rund 60 Millionen Euro die Selbstbestimmung geschenkt. Und Kühnes Großzügigkeit verhilft dem HSV auch jetzt zu einem vergleichsweise komfortablen Umgang mit der Krise: „Unsere Gesellschafter, insbesondere Herr Kühne, haben schon längst einen überragenden Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet“, betont Wettstein. Zum Jahreswechsel verfügte der HSV über Eigenkapital von mehr als 45 Millionen Euro. Dieses Polster ist immens wichtig, damit wir die nächsten Monate überbrücken können.“

 

Um diese Zeit bestmöglich überbrücken zu können, hat der HSV unlängst Kurzarbeit angemeldet. Damit entlastet der HSV die Personalkosten und vermeidet weitere Personalmaßnahmen. Wettstein: „Mit Blick auf die Mitarbeiter haben für uns der Erhalt aller Arbeitsplätze der Stammbelegschaft und die Sozialverträglichkeit der Maßnahme eine hohe Bedeutung. Insofern stockt der HSV auch das staatlich finanzierte Kurzarbeitergeld freiwillig auf, insbesondere in den unteren Lohn- und Gehaltsklassen.“ Anschließend, sobald die Krise vorbei ist und der Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde, werden sich Mannschaft, Vorstand und Trainerteam zusammensetzen und weitere Hilfsaktionen planen. „Ich wurde aus dem Mannschaftsrat schon vor Beginn der teamtrainingsfreien Zeit angesprochen und darauf hingewiesen, dass sich die Spieler einbringen wollen, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen oder um Maßnahmen gegen schwerwiegende Clubschäden geht“, verriet Boldt heute. Der Sportvorstand weiter: „Auch die Trainer und wir Vorstände nehmen uns da nicht aus. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir die konkreten Beiträge gemeinsam entscheiden, sobald noch etwas klarer ist, wie weitreichend und schwerwiegend die Folgen sein werden.“ Gute Aktion.

Boldt und Co. hoffen, bald wieder trainieren zu können

Gut für den sportlichen Bereich wäre, wenn es zeitnah die sichere Möglichkeit auf Trainingseinheiten mit Ball geben würde. Der FC St. Pauli hatte zuletzt trotz fehlender Ausnahmegenehmigung der Stadt wieder in kleinen Gruppen trainiert und droht jetzt Ärger von den Behörden zu bekommen. Der HSV indes hofft darauf, schnellstmöglich wieder auf den Platz zu dürfen. „Aktuell legen wir maximalen Wert darauf, schnellstmöglich Trainingseinheiten zu bekommen, so dass wir dem Beruf als Fußballer nachgehen können – natürlich immer unter der Prämisse, dass Sicherheitsstandards zur Pandemie-Bekämpfung eingehalten werden“, so Boldt.

Geplant wird aktuell mit einem Trainingsbeginn Anfang kommender Woche. Dann aufgeteilt in kleinen Gruppen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Denn Boldt betonte heute noch einmal, dass sich alle 36 Profiklubs bei der letzten DFL-Videositzung darauf verständigt hätten, die Saison unbedingt sportlich beenden zu wollen: „Alle 36 Clubs haben sich einstimmig bekannt, die aktuelle Saison unbedingt fortzuführen, in einem fairen, integren Wettbewerb die Entscheidungen herbeizuführen.“ Mit Geisterspielen, wie der Sportvorstand ergänzte. Und falls das wider Erwarten doch nicht funktioniert? Auch dann sei der HSV gut aufgestellt. „ Wir denken und planen permanent in unterschiedlichen Szenarien“, verrät Boldt und sein Vorstands-Kompagnon ergänzt: „Abweichend von der Haltung der DFL und auch von unserer Erwartung, wie die laufende Saison zu Ende gespielt werden wird, müssen wir im kaufmännischen Bereich aus Vorsichtsgesichtspunkten immer den denkbar schlechtesten Fall in unsere Überlegungen einbeziehen. Daher gilt es auch ein Szenario abzusichern, falls neben den Einnahmen aus Ticketverkäufen auch die verbleibenden Einnahmen aus zentralverwerteten Medienrechten ausfallen können.“ Ob das gelingt? Wettstein sagt ja. Zumindest sei man gerüstet: „Mit den vorhandenen Liquiditätsreserven kommen wir durch die nächsten Monate, auch über den 30. Juni 2020 hinaus.“

Nach knapp zwei Stunden hatten Boldt und Wettstein ihren Interview-Marathon heute beendet. Und es wurden tatsächlich etliche Fragen beantwortet, die am Montag von Jansen mit Verweis auf die Zuständigkeit des Vorstandes unbeantwortet geblieben waren. Es war der erste letztlich gelungene Doppelpass zwischen neuem Zweier-Vorstand und dem neuen Aufsichtsratsboss. Wichtiger als das  wird aber sein, dass den Worten dieser Tage auch entsprechend Taten folgen.

Und bevor ich diesen doch länger als geplant gewordenen Blogbeitrag beende habe ich noch einen Hinweis in eigener Sache: Denn morgen Abend wartet unser erstes interaktives Quiz-Duell (s. Ankündigung oben) auf Euch. Ab 18 Uhr seid Ihr alle eingeladen, ebenso wie ich 15 Fragen zum HSV zu beantworten. Mal sehen, wer am Ende mehr weiß… Ich freue mich auf jeden Fall darauf und werde mich vorher wider früh um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch melden. Bis dahin Euch allen erst einmal einen schönen Abend! Und vor allem: Bleibt gesund…!

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